Kein Gedenken ohne Antifaschismus!

Wir haben als Initiative Dessauer Ufer heute, am 4. Mai, einen Blumenkranz auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme abgelegt. Wir erinnern damit anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung an die Verfolgten, Entrechteten und Ermordeten des KZ Neuengamme und der dazugehörigen Außenlager.

Anders als in den vorherigen Jahren haben wir nicht an der offiziellen Gedenkfeier am 3. Mai teilgenommen. Die jährliche Gedenkfeier ist ein wichtiger Tag für uns und bedeutet uns viel. Sehr gerne hätten wir die Rede von Helga Melmed gehört, die Überlebende des Außenlagers Dessauer Ufer ist. Die Entscheidung gegen eine Teilnahme haben wir lange diskutiert. Wir wollen hiermit unsere Gründe erklären.

Die diesjährige Gedenkfeier war maßgeblich von dem Besuch des amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz geprägt. Wir wissen um die Bedeutung von Symbolen und dass viele Überlebende jahrzehntelang forderten, dass Gedenkfeiern auch von der Stadt und dem Staat in Form seiner Politiker*innen gewürdigt werden sollen. Wir respektieren, dass der Besuch des Bundeskanzlers deshalb für viele Überlebende und Angehörige eine besondere Ehrung bedeutet.

Olaf Scholz‘ Grußwort wurde zentral platziert, er durfte sprechen, noch bevor die einzige anwesende Überlebende – Helga Melmed sprechen konnte. Wir finden, dass damit der Schwerpunkt der Veranstaltung schon falsch gesetzt ist, denn es sollte vor allem darum gehen, was die Überlebenden zu sagen haben.

Zudem ging der Besuch von Olaf Scholz mit einem Sicherheitsprotokoll einher, das Vielen eine Teilnahme an der Veranstaltung unmöglich macht. Wer an der Gedenkfeier teilnehmen wollte, musste sich vorher vom BKA überprüfen lassen und kam nur durch Zäune, Polizist*innen in Uniform und an der Hunde- und Pferdestaffel vorbei auf das Gelände der Gedenkstätte. Die Anmeldung mit offiziellen Dokumenten bedeutet für trans Menschen, dass sie möglicherweise gezwungen wären, sich mit den falschen Angaben zu ihrer Person aus diesen Dokumenten anzumelden. Zudem haben diese Sicherheitsmaßnahmen die Veranstaltung für Menschen, die von rassistischen Polizeikontrollen betroffen sind, schwerer oder gar nicht zugänglich gemacht. Sie haben eine Drohkulisse für alle diejenigen aufgebaut, für die die deutsche Polizei nicht gleich Sicherheit bedeutet. 

Die Gedenkveranstaltung macht damit bereits durch die Form, in der sie stattfindet, deutlich, dass sie primär als Bühne für Politiker*innen und nicht für diejenigen konzipiert ist, die noch heute von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind. Unserer Meinung nach ist dieser Fokus falsch gesetzt.

Zur Person Olaf Scholz gibt es verschiedene Punkte zu kritisieren. Wir möchten an dieser Stelle auch die tödliche Zwangsverabreichung von Brechmitteln an den 19-jährigen Achidi John erwähnen. Diese hat Olaf Scholz maßgeblich mit zu verantworten.

Im Zusammenhang mit der Gedenkveranstaltung kritisieren wir aber in erster Linie Scholz‘ Selbstinszenierung als Abschiebe-Kanzler. Wenn ein Politiker zeitgleich zu seiner Ankündigung „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ seinen Besuch einer Gedenkveranstaltung plant, ist das aus unserer Sicht ein unerträglicher Widerspruch. Die Inszenierung von Scholz und anderen Politiker*innen im Zuge von Gedenkveranstaltungen bleibt folgenlos für deren Politik. So wird die Erinnerung an die NS-Verbrechen von gegenwärtiger Politik entkoppelt. Das steht unserem Verständnis von Gedenken diametral entgegen.

Dabei geht es uns nicht darum, dass wir alle politisch einer Meinung sein müssen. Jedoch müssen wir uns auf ein Grundverständnis von Menschenrechten einigen. Das Grundrecht auf Asyl, dessen weitere Abschaffung gerade diskutiert wird, ist ganz wesentlich aus den Erfahrungen der Verfolgten im NS entwickelt worden. Auch im Konzentrationslager Neuengamme waren eine Vielzahl Personen, die sich vorher erfolgslos um Asyl oder Auswanderungsmöglichkeiten in andere Länder bemüht hatten.

Genügend Kritiker*innen haben darauf aufmerksam gemacht, dass Abschiebeankündigungen wie die von Scholz keines der aufgeworfenen Probleme lösen werden, für die ein Kausalzusammenhang mit Flucht und Migration konstruiert wird. Vielmehr geht es offensichtlich darum, auf eine rechte und rassistische Stimmungsmache einzugehen. Auch das sollte jede Person, die sich mit dem Nationalsozialismus und seiner Geschichte auseinandergesetzt hat, ablehnen. Rechte und Rechtsextreme werden nicht geschwächt, wenn man ihre Positionen übernimmt. Im Gegenteil- es verleiht ihren Diskursen Legitimität und treibt die rassistische Spaltung der Gesellschaft weiter voran.

Diese Fragen sind für uns nicht losgelöst von Gedenken und Erinnerung, sondern basieren auf Überzeugungen, die wir ganz konkret durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte gewonnen haben.

Gedenken muss für alle sein, vor allem aber für die Betroffenen. Gedenken heißt nicht nur „Nie wieder ist jetzt“ auf ein Plakat zu schreiben, es bedeutet auch, sich mit den Ausschlussmechanismen der Gegenwart zu beschäftigen und diese abzubauen und sich gegen aktuelle rassistische Verschiebungen zu wehren. Gedenken heißt antifaschistisch zu handeln. 

Wir haben uns daher entschlossen, unseren Kranz heute am Initiativentag abzulegen und hoffen weiterhin auf einen gemeinsamen Kampf aller Gedenkinitiativen und Antifaschist*innen um ein angemessenes Gedenken und eine antifaschistische Gegenwart.

Dieser Beitrag wurde unter General veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.