Statement der Initiative Dessauer Ufer, 1.10.2024
Vom 26.-28.9.24 fand im Hamburger Hafen unter dem Namen „Red Storm Alpha“ eine Verteidigungsübung der Bundeswehr statt. Dabei wurde der Transport großer Truppenverbände an die sog. „NATO-Ostflanke“ über die Hafeninfrastruktur geprobt.
Als Szenario diente eine mögliche Bedrohung durch Russland. Im Kriegsfall wäre der Hafen als Drehscheibe ein Gebiet mit schützenswerter Infrastruktur. Zur Simulation gehörte u.a. die Einrichtung eines Checkpoints an der Hansabrücke vor dem Lagerhaus G.
Der Speicher diente ab 1943 als Unterbringungsort für mehrere tausend italienische Militärinternierte und war ab Juli 1944 das größte Außenlager des KZ Neuengamme im Hamburger Stadtgebiet. Dort waren zuerst 1500 als Jüdinnen verfolgte Frauen, die in Auschwitz als arbeitsfähig selektiert worden waren, interniert, danach etwa 2000 männliche KZ-Häftlinge. Alle Gefangenen mussten schwerste Zwangsarbeit in den kriegswichtigen Raffinerien, Werften, der Reichsbahn, den Wasserwerken etc. leisten. Mindestens 150 von ihnen starben bei Bombenangriffen auf das Gebäude.
An Sektion 8 des Lagerhauses G sind seit Ende der 1980er Jahre Tafeln angebracht, die an die Geschichte des Ortes erinnern. An dieser Stelle werden seitdem Gedenkveranstaltungen abgehalten und Blumen und Kränze abgelegt. Zudem ist in unmittelbarer Nähe ein Stolperstein eingelassen. Genau hier hatten nun 100 Bundeswehrsoldaten, die auf dem Kleinen Grasbrook drei Tage lang den Angriffsfall übten, einen Checkpoint errichtet – den Vorplatz des Gebäudes (dem ehemaligen Appellplatz, auf dem die Gefangenen täglich antreten mussten und zur Zwangsarbeit eingeteilt wurden!) mit Stacheldraht und Panzerfahrzeugen gesichert, Maschinenpistolen im Anschlag.
Die Initiative Dessauer Ufer setzt sich seit 2017 engagiert dafür ein, dass das baufällige Gebäude erforscht und instand gesetzt wird, damit es künftig eine öffentlich zugängliche Gedenkstätte sein kann. Wir erinnern schon heute vor Ort an das System der KZ-Außenlager in Hamburg und an die mörderische Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus. Die Initiative ist zudem in Kontakt mit Überlebenden und ihren Angehörigen. Das Bild, das sich uns bei Führungen an diesem Wochenende bot, löste bei den Besucher*innen Entsetzen und Wut aus.
Ein Gespräch mit dem Pressevertreter der Bundeswehr vor Ort zeigte, dass es den Soldaten auch nach drei Tagen Checkpointbetriebs direkt vor den Gedenktafeln nicht ins Bewusstsein gekommen war, wo sie sich da aufgestellt hatten. Der Bitte, das über dem Stolperstein thronende Panzerfahrzeug ein paar Meter zu versetzen, wurde mit dem Hinweis, der Reifen berühre diesen nicht, abgelehnt.
Die ahistorische Unprofessionalität der verantwortlichen Militärs zeigt sich also auch darin, dass sie in Kauf nahmen, dass ihre martialische Präsenz vorm Lagerhaus G eine maximale Missachtung des Ortes zum Ausdruck bringt.
Man muss es daher wohl noch einmal klar sagen: Ein Ort, an dem mehrere tausend Menschen (die nebenbei bemerkt vor allem aus den Gebieten stammten, die da heute als „NATO-Ostflanke“ firmiert) inhaftiert und als Zwangsarbeitende gedemütigt, missbraucht und umgebracht wurden, ist absolut ungeeignet für militärische Übungen. Und zwar aus Respekt vor den Gefangenen und Toten, die Opfer eines faschistischen Regimes wurden, das durch das Militär stabilisiert und exekutiert wurde.
Erneut stellt sich mit Vehemenz die Frage, wie mit einem Ort, der wie kein anderer für nationalsozialistische Zwangsarbeit in Hamburg steht, umgegangen werden soll und wie angemessene Erinnerung dort aussehen könnte. Die jüngsten Ereignisse zeigen zum wiederholten Male, dass die Stadt Hamburg drauf keine vernünftige Antwort hat.
Die Ankündigung, diese Übung in 2025 „an gleichem Ort“ mit 250 Soldaten wiederholen zu wollen, trifft auf unseren entschiedenen Widerspruch.
Pfui Deibel!