Gedenkveranstaltung vom 14.07.2024 – Teil II Projektarbeit >Blueprint<

Teil der Gedenkveranstaltung am 14.07.24 war auch die Präsentation der Projektarbeit ‚Blueprint‘. Im Folgenden findet ihr weitere Informationen dazu:

Projektarbeit >Blueprint<

Aus den Schilderungen von Dita Kraus, die im Juli 1944 als 15-jährige zusammen mit ihrer Mutter aus Auschwitz-Birkenau ins Frauenaußenlager am Dessauer Ufer verlegt wurde, wird deutlich, wie allgegenwärtig und sichtbar die Zwangsarbeit im Alltag jener Zeit war. Die Gefangenen wurden mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Straßenbahnen und Hafenbarkassen zu ihren Einsatzorten transportiert und mussten ihre Arbeit vor den Augen der Zivilbevölkerung verrichten. In einer Stadt, in der es für die unterschiedlichen Gruppen von Zwangsarbeitenden über 1200 Lager gab, war diese unübersehbar und Firmen, die sich der Zwangsarbeit nicht bedienten, die Ausnahme. Etliche der Betriebe aus dem Hafengebiet, die von ihr profitierten, haben diesen Teil ihrer Geschichte bis heute nicht aufgearbeitet. Auch sind die konkreten Arbeitsorte der Zwangsarbeitenden bislang nicht kenntlich gemacht.

Die Gefangenen beschreiben in ihren Berichten die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die NS-Diktatur und Kriegswirtschaft über sie gebracht haben, im Detail. Diese verdeutlichen, wie sehr sich Unterdrückung und Vernichtungswille im Nationalsozialismus insbesondere in der totalen Verfügbarmachung durch Arbeit ausgedrückt haben.

Hier mag in den Erzählungen der Zeitzeuginnen besonders die Gleichzeitigkeit von Gefühlen der Peinigung, von Schmerz und Leid und dem freudigen Empfinden von Hoffnung irritieren. Sie erschließt sich bei den Frauen vom Dessauer Ufer zunächst aus dem Kontext, Auschwitz entkommen zu sein. Sie weist aber auch drauf hin, wie es Menschen gelingen kann, noch unter den erbärmlichsten und entwürdigendsten Bedingungen Auswege und Ausdrucksformen für das eigene physische und psychische Überleben zu finden. Man kann in dieser Irritation auch eine fundamentale Stärke erkennen, da sie den Begriff des „Opfers“ unterwandert und den von Gefangenschaft und Zwangsarbeit Betroffenen trotz der fatalen Umstände Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung zugesteht.

Dennoch: am Beispiel der Zwangsarbeit zeigt sich die Gnadenlosigkeit und Abgründigkeit des Faschismus in besonderer Weise. Und nicht zuletzt wird hier die Verbindung zwischen Kapital und Faschismus überdeutlich. Die Menschen, die unter Zwang zur Arbeit verpflichtet wurden, waren ein kalkulierter Teil der Produktion und für alle sichtbar bei ihrer Ausführung. Die Alltagsgeschichten derjenigen, die unter dieser Herrschaft leiden mussten, finden nur selten eine Abbildung in künstlerischen Formen.

Vor diesem Hintergrund versucht die Projektarbeit >Blueprint<, die anläßlich der Gedenkveranstaltung erstmals präsentiert wurde, im Rahmen einer künstlerischen Arbeit jene Orte der Zwangsarbeit im Hafengebiet, an denen die Frauen vom Dessauer Ufer eingesetzt wurden, sichtbar zu machen. Als temporäre Intervention vor Ort versteht >Blueprint< sich als einen fortlaufenden Prozess, durch den die Verbindung der verschiedenen Arbeitsorte mit dem Außenlager am Dessauer Ufer aufgezeigt werden soll.

Dita Kraus erzählt an anderer Stelle, wie sich einige der inhaftierten Frauen aus einer eigentlich unbrauchbaren LKW-Ladung blauer, kleiner Stofftaschentücher Kleidungsstücke und Kopfbedeckungen herstellten und sie auf diese Weise ihrer miserablen Lage, mit geschorenen Köpfen und in der Kleidung Verstorbener, etwas entgegen setzen konnten.

Die Arbeit >Blueprint< greift das Motiv der blauen Tücher als einen widerständigen Moment auf, mit dem Frauen wie Dita Kraus sich ein Stück Würde und Selbstbehauptung zurückgeholt haben. Durch das Aufspannen des blauen Tuches an den ehemaligen Einsatzorten der Frauen vom Dessauer Ufer werden diese Orte und Betriebe erstmals markiert und in ihrem historischen Kontext sichtbar gemacht. Mit diesem temporären Vorgang, der in einer Fotoserie festgehalten und nun erstmals gezeigt wurde, möchte >Blueprint< an die leidvollen Erlebnisse der Gefangenen erinnern. Nicht zuletzt soll diese Arbeit die oft abgelegenen oder unzugänglichen ehemaligen Zwangsarbeitsorte mit dem Außenlager am Dessauer Ufer in Beziehung setzen und damit auch den touristischen oder alltäglichen Blick auf den Hafen stören und umlenken.

Weitere Aufnahmen und Aktionen werden folgen.

[Blueprint ist eine Arbeit von Thies Warncke und Markus Fiedler, fotografiert von Johanna Klier]

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