Wir möchten uns bei allen bedanken, die gestern zur Gedenkveranstaltung gekommen sind und mit uns der über 150 getöteten KZ-Gefangenen des Krankenreviers gedacht haben.
Diese waren von der SS in den oberen Stockwerken von Haus 1 des Lagerhaus G untergebracht, wo sie keinen Schutz bei Bombardierungen hatten.

Danke auch an alle, die im Anschluss Blumen abgelegt und sich mit uns ausgetauscht haben.
Wir waren sehr dankbar an diesem Tag auch Vera Trnka kennenlernen zu können, deren Mutter Milada Neuradovà im Juli 1944 zusammen mit 1500 weiteren als Jüdinnen verfolgten Frauen aus Auschwitz in das Außenlager Dessauer Ufer deportiert wurde.

„[…] wenn wir sahen, wie Hamburg bombardiert wurde, erfüllte uns das mit Freude, wir waren froh, zu sehen, daß die R[oyal]A[ir]F[orce] kam, um Deutschland zu bombardieren. Und ich habe es selber erlebt […] wir wurden gerade bombardiert und mit Maschinengewehren beschossen, und dann, als alle Leute das weite suchten, da waren wir, ein anderer Franzose und ich, wir waren wie zwei Verrückte […] mitten auf der Straße zurückgeblieben und schauten uns die Flugzeuge in der Luft an […] und brachten johlend unsere Zufriedenheit zum Ausdruck. Und neben uns stand natürlich ein SS-Mann […]. Aber […] als wir das sa[h]en wurde es uns warm [ums Herz] – das ermutigte un[s] sehr, und – wir freuten uns.“ (Jean leBris)

 

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Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Bombardierung des Lagerhaus G

Gedenkveranstaltung 25.10.2024, 16 Uhr vor dem Lagerhaus G

„An einem schönen Mittag gegen 1 Uhr sind auf das Lager Dessauer Ufer Brandbomben gefallen. Es war ein großes Glück, dass fast alle Leute auf Außenkommando waren. Im Lager waren damals nur etwa 200 Kranke im Revier…“ (Stefan Brozdowicz 1949)

Bild: Frihedsmuseet, Kopenhagen

Wir möchten am 25. Oktober 2024, 80 Jahre nach der Zerstörung von Teilen des Lagerhaus G durch Fliegerbomben, gedenken. Mehr als 150 KZ-Häftlinge starben am 25.10.1944 im Lagerhaus G. Die SS war dafür verantwortlich, dass die kranken Häftlinge im Krankenrevier in den oberen Stockwerken untergebracht waren, womit sie den Bomben schutzlos ausgesetzt waren.

Die anderen Häftlinge wurden noch am selben Tag in den Gefängniskomplex Fuhlsbüttel transportiert.

Das Lagerhaus G war zu diesem Zeitpunkt ein KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme für 2000 männliche Häftlinge. Sie mussten im Hafen und den umliegenden Stadtteilen für die Ölindustrie, die Baubehörde, die Wasserwerke, die Bahn und weitere Betriebe schwere, lebensgefährliche Zwangsarbeit leisten.

Wir möchten an einige Häftlinge vom Dessauer Ufer erinnern, wir werden ihre Stimmen hören und aus ihren Erinnerungen lesen.

Dies schrieb Gino Sirola:

„Ich hatte nur einen Wunsch: etwas in den Mund zu stecken und mich vor der Kälte zu schützen. Die Feuchtigkeit ging mir bis in die Knochen hinein, sie nagte mir bis ins Gedärm.“

 

 

Mit dieser Veranstaltung gedenken wir des 80. Jahrestages der Bombardierung des KZ-Außenlagers.

Wir laden euch ein, mit uns zu gedenken!

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Ausstellung der Kulturretter:innen auf Kampnagel

Es gab neben den unpassenden Vorkommnissen vor dem Lagerhaus G durch die Bundeswehrübung jedoch auch schöne Ereignisse in der letzten Zeit.

Wie von uns angekündigt, wurde am 27.09.24 die Ausstellung der Kulturretter:innen auf Kampnagel eröffnet. Wir haben uns gefreut so viele Besucher*innen und andere Kulturretter:innen zu treffen und ins Gespräch zu kommen.

Im Rahmen der Ausstellung wurde am 06.10.24 auch der Film ‚Lagerhaus G‘ von Filmemacher und IDU-Mitglied Markus Fiedler im Alabama Kino gezeigt.

Viele nahmen die Möglichkeit wahr den Film zu sehen und danach mit dem Filmemacher ins Gespräch zu kommen. Uns hat besonders die sehr positive Resonanz unserer Arbeit als Initiative gefreut.

 

 

 

Die Ausstellung könnt ihr noch bis zum 27.10.24 im Foyer auf Kampnagel sehen. Dort findet ihr auch die Schautafeln zum Lagerhaus G und zu uns als Initiative. Falls ihr noch kein Heft mit unseren Nutzungsvisionen habt, versorgt euch vor Ort mit Exemplaren.

Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten von Kampnagel zugänglich und der Eintritt ist kostenlos.

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Statement der Initiative Dessauer Ufer, 1.10.2024

Statement der Initiative Dessauer Ufer, 1.10.2024

Vom 26.-28.9.24 fand im Hamburger Hafen unter dem Namen „Red Storm Alpha“ eine Verteidigungsübung der Bundeswehr statt. Dabei wurde der Transport großer Truppenverbände an die sog. „NATO-Ostflanke“ über die Hafeninfrastruktur geprobt.

Als Szenario diente eine mögliche Bedrohung durch Russland. Im Kriegsfall wäre der Hafen als Drehscheibe ein Gebiet mit schützenswerter Infrastruktur. Zur Simulation gehörte u.a. die Einrichtung eines Checkpoints an der Hansabrücke vor dem Lagerhaus G.

Der Speicher diente ab 1943 als Unterbringungsort für mehrere tausend italienische Militärinternierte und war ab Juli 1944 das größte Außenlager des KZ Neuengamme im Hamburger Stadtgebiet. Dort waren zuerst 1500 als Jüdinnen verfolgte Frauen, die in Auschwitz als arbeitsfähig selektiert worden waren, interniert, danach etwa 2000 männliche KZ-Häftlinge. Alle Gefangenen mussten schwerste Zwangsarbeit in den kriegswichtigen Raffinerien, Werften, der Reichsbahn, den Wasserwerken etc. leisten. Mindestens 150 von ihnen starben bei Bombenangriffen auf das Gebäude.

An Sektion 8 des Lagerhauses G sind seit Ende der 1980er Jahre Tafeln angebracht, die an die Geschichte des Ortes erinnern. An dieser Stelle werden seitdem Gedenkveranstaltungen abgehalten und Blumen und Kränze abgelegt. Zudem ist in unmittelbarer Nähe ein Stolperstein eingelassen. Genau hier hatten nun 100 Bundeswehrsoldaten, die auf dem Kleinen Grasbrook drei Tage lang den Angriffsfall übten, einen Checkpoint errichtet – den Vorplatz des Gebäudes (dem ehemaligen Appellplatz, auf dem die Gefangenen täglich antreten mussten und zur Zwangsarbeit eingeteilt wurden!) mit Stacheldraht und Panzerfahrzeugen gesichert, Maschinenpistolen im Anschlag.

Die Initiative Dessauer Ufer setzt sich seit 2017 engagiert dafür ein, dass das baufällige Gebäude erforscht und instand gesetzt wird, damit es künftig eine öffentlich zugängliche Gedenkstätte sein kann. Wir erinnern schon heute vor Ort an das System der KZ-Außenlager in Hamburg und an die mörderische Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus. Die Initiative ist zudem in Kontakt mit Überlebenden und ihren Angehörigen. Das Bild, das sich uns bei Führungen an diesem Wochenende bot, löste bei den Besucher*innen Entsetzen und Wut aus.

Ein Gespräch mit dem Pressevertreter der Bundeswehr vor Ort zeigte, dass es den Soldaten auch nach drei Tagen Checkpointbetriebs direkt vor den Gedenktafeln nicht ins Bewusstsein gekommen war, wo sie sich da aufgestellt hatten. Der Bitte, das über dem Stolperstein thronende Panzerfahrzeug ein paar Meter zu versetzen, wurde mit dem Hinweis, der Reifen berühre diesen nicht, abgelehnt.

Die ahistorische Unprofessionalität der verantwortlichen Militärs zeigt sich also auch darin, dass sie in Kauf nahmen, dass ihre martialische Präsenz vorm Lagerhaus G eine maximale Missachtung des Ortes zum Ausdruck bringt.

Man muss es daher wohl noch einmal klar sagen: Ein Ort, an dem mehrere tausend Menschen (die nebenbei bemerkt vor allem aus den Gebieten stammten, die da heute als „NATO-Ostflanke“ firmiert) inhaftiert und als Zwangsarbeitende gedemütigt, missbraucht und umgebracht wurden, ist absolut ungeeignet für militärische Übungen. Und zwar aus Respekt vor den Gefangenen und Toten, die Opfer eines faschistischen Regimes wurden, das durch das Militär stabilisiert und exekutiert wurde.

Erneut stellt sich mit Vehemenz die Frage, wie mit einem Ort, der wie kein anderer für nationalsozialistische Zwangsarbeit in Hamburg steht, umgegangen werden soll und wie angemessene Erinnerung dort aussehen könnte. Die jüngsten Ereignisse zeigen zum wiederholten Male, dass die Stadt Hamburg drauf keine vernünftige Antwort hat.

Die Ankündigung, diese Übung in 2025 „an gleichem Ort“ mit 250 Soldaten wiederholen zu wollen, trifft auf unseren entschiedenen Widerspruch.

Pfui Deibel!

 

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Save the Date: Kulturretter:innen und Initiative Dessauer Ufer auf Kampnagel

Am 25.09.24 kommt die Wanderausstellung der Kulturretter:innen nach Hamburg und wird im Kampnagel-Foyer gezeigt. Als Teil der Kulturretter:innen findet ihr auch eine Ausstellungstafel zu unserer Initiative.

Als Begleitprogramm zur Ausstellung wird am 06.10.24, 17:30 Uhr der Film ‚Lagerhaus G‘ vom Filmemacher Markus Fiedler gezeigt. Im Anschluss laden wir zu einem Gespräch mit Markus ein.

 

 

Von 1944-1945 wurde das Lagerhaus G im Hamburger Freihafen als KZ-Außenlager für das KZ Neuengamme genutzt. Bis heute lassen sich Spuren von Inhaftierten im Lagerhaus G finden. Das Haus und die Objekte erzählen von Menschen. Wenn niemand sie bewahrt, verrotten sie. Damit geht auch ein Stück Geschichte verloren. Der Dokumentarfilm »Lagerhaus G« beleuchtet Vergangenheit und Gegenwart des Lagerhaus‘ G und entwirft eine mögliche ­Zukunft. Zeitzeug*innen und Historiker*innen sprechen über die unsichtbare Geschichte der Zwangsarbeit im Hamburger Hafen. Der Film wird im Rahmen der Ausstellung KULTURRETTER:INNEN gezeigt, mit anschließendem Gespräch mit dem Filmemacher Markus Fiedler (Initiative Dessauer Ufer).

Sobald die Karten für die Vorstellung, die im Alabama-Kino gezeigt wird, erhältlich sind, könnt ihr diese hier kaufen.

Wir freuen uns auf euch!

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Zu Gast bei concrete cracks #7

Ihr habt unseren Radiobeitrag verpasst? Wir waren am 28.07.24 bei concrete cracks zu Gast um zum Thema ‚Wie erinnert eine Stadt?‘ zu sprechen.

seit 2017 setzt sich die initiative dessauer ufer für die einrichtung einer gedenkstätte und eines stadtteilbegegnungszentrums am ehemaligen kz-außenlager dessauer ufer in hamburg ein. gegründet hatte sich die initiative vor dem hintergrund der bevorstehenden umwandlung des kleinen grasbrooks vom hafengebiet zum neuen stadtteil und der erfahrung mit dem umgang der stadt mit anderen erinnerungsorten in hamburg wie dem stadthaus.
wir sprechen mit markus von der initiative über erinnerungspolitiken und -orte, geschichtsvermittlung und über die geschichte und zukunft des lagerhaus g.

Hört hier gerne rein.

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Gedenkveranstaltung vom 14.07.2024 – Teil II Projektarbeit >Blueprint<

Teil der Gedenkveranstaltung am 14.07.24 war auch die Präsentation der Projektarbeit ‚Blueprint‘. Im Folgenden findet ihr weitere Informationen dazu:

Projektarbeit >Blueprint<

Aus den Schilderungen von Dita Kraus, die im Juli 1944 als 15-jährige zusammen mit ihrer Mutter aus Auschwitz-Birkenau ins Frauenaußenlager am Dessauer Ufer verlegt wurde, wird deutlich, wie allgegenwärtig und sichtbar die Zwangsarbeit im Alltag jener Zeit war. Die Gefangenen wurden mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Straßenbahnen und Hafenbarkassen zu ihren Einsatzorten transportiert und mussten ihre Arbeit vor den Augen der Zivilbevölkerung verrichten. In einer Stadt, in der es für die unterschiedlichen Gruppen von Zwangsarbeitenden über 1200 Lager gab, war diese unübersehbar und Firmen, die sich der Zwangsarbeit nicht bedienten, die Ausnahme. Etliche der Betriebe aus dem Hafengebiet, die von ihr profitierten, haben diesen Teil ihrer Geschichte bis heute nicht aufgearbeitet. Auch sind die konkreten Arbeitsorte der Zwangsarbeitenden bislang nicht kenntlich gemacht.

Die Gefangenen beschreiben in ihren Berichten die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die NS-Diktatur und Kriegswirtschaft über sie gebracht haben, im Detail. Diese verdeutlichen, wie sehr sich Unterdrückung und Vernichtungswille im Nationalsozialismus insbesondere in der totalen Verfügbarmachung durch Arbeit ausgedrückt haben.

Hier mag in den Erzählungen der Zeitzeuginnen besonders die Gleichzeitigkeit von Gefühlen der Peinigung, von Schmerz und Leid und dem freudigen Empfinden von Hoffnung irritieren. Sie erschließt sich bei den Frauen vom Dessauer Ufer zunächst aus dem Kontext, Auschwitz entkommen zu sein. Sie weist aber auch drauf hin, wie es Menschen gelingen kann, noch unter den erbärmlichsten und entwürdigendsten Bedingungen Auswege und Ausdrucksformen für das eigene physische und psychische Überleben zu finden. Man kann in dieser Irritation auch eine fundamentale Stärke erkennen, da sie den Begriff des „Opfers“ unterwandert und den von Gefangenschaft und Zwangsarbeit Betroffenen trotz der fatalen Umstände Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung zugesteht.

Dennoch: am Beispiel der Zwangsarbeit zeigt sich die Gnadenlosigkeit und Abgründigkeit des Faschismus in besonderer Weise. Und nicht zuletzt wird hier die Verbindung zwischen Kapital und Faschismus überdeutlich. Die Menschen, die unter Zwang zur Arbeit verpflichtet wurden, waren ein kalkulierter Teil der Produktion und für alle sichtbar bei ihrer Ausführung. Die Alltagsgeschichten derjenigen, die unter dieser Herrschaft leiden mussten, finden nur selten eine Abbildung in künstlerischen Formen.

Vor diesem Hintergrund versucht die Projektarbeit >Blueprint<, die anläßlich der Gedenkveranstaltung erstmals präsentiert wurde, im Rahmen einer künstlerischen Arbeit jene Orte der Zwangsarbeit im Hafengebiet, an denen die Frauen vom Dessauer Ufer eingesetzt wurden, sichtbar zu machen. Als temporäre Intervention vor Ort versteht >Blueprint< sich als einen fortlaufenden Prozess, durch den die Verbindung der verschiedenen Arbeitsorte mit dem Außenlager am Dessauer Ufer aufgezeigt werden soll.

Dita Kraus erzählt an anderer Stelle, wie sich einige der inhaftierten Frauen aus einer eigentlich unbrauchbaren LKW-Ladung blauer, kleiner Stofftaschentücher Kleidungsstücke und Kopfbedeckungen herstellten und sie auf diese Weise ihrer miserablen Lage, mit geschorenen Köpfen und in der Kleidung Verstorbener, etwas entgegen setzen konnten.

Die Arbeit >Blueprint< greift das Motiv der blauen Tücher als einen widerständigen Moment auf, mit dem Frauen wie Dita Kraus sich ein Stück Würde und Selbstbehauptung zurückgeholt haben. Durch das Aufspannen des blauen Tuches an den ehemaligen Einsatzorten der Frauen vom Dessauer Ufer werden diese Orte und Betriebe erstmals markiert und in ihrem historischen Kontext sichtbar gemacht. Mit diesem temporären Vorgang, der in einer Fotoserie festgehalten und nun erstmals gezeigt wurde, möchte >Blueprint< an die leidvollen Erlebnisse der Gefangenen erinnern. Nicht zuletzt soll diese Arbeit die oft abgelegenen oder unzugänglichen ehemaligen Zwangsarbeitsorte mit dem Außenlager am Dessauer Ufer in Beziehung setzen und damit auch den touristischen oder alltäglichen Blick auf den Hafen stören und umlenken.

Weitere Aufnahmen und Aktionen werden folgen.

[Blueprint ist eine Arbeit von Thies Warncke und Markus Fiedler, fotografiert von Johanna Klier]

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Gedenkveranstaltung vom 14.07.2024 – Teil I Bericht, Texte

Zuallererst möchten wir uns bei allen bedanken, die an diesem Tag ans Dessauer Ufer gekommen sind um mit uns an die Erstbelegung des Lagerhaus G als Frauenaußenlager des KZ Neuengamme zu gedenken. Wir haben uns gefreut, dass ihr an einem Sonntag so zahlreich gekommen und sogar den Sturzregen mit uns überstanden habt.

Da einige von euch uns nach den Texten, Materialien und Fotos gefragt habt, wollen wir untenstehend eine ausführliche Ausgabe unserer Texte veröffentlichen, so dass ihr in Ruhe alles nachlesen könnt.

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Text Gedenkveranstaltung

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Gedenkveranstaltung Lagerhaus G am Dessauer Ufer, 14.07.2024

 Einleitung

Wir begrüßen Sie und Euch ganz herzlich zur heutigen Veranstaltung „Zwangsarbeit im Hamburger Hafen 1943-1945“, bei der wir an die Erstbelegung des Frauenaußenlagers des KZ-Neuengamme am Dessauer Ufer im Juli 1944 erinnern möchten.

Wir sind die Initiative Dessauer Ufer und haben die Veranstaltung mit dem Projekt „Blueprint“ zusammen konzipiert.

Wir möchten zunächst einen historischen Kontext zum Thema mit Berichten von Zeitzeuginnen geben, bevor es dann eine künstlerische Intervention des Projekts „Blueprint“ gibt.

Wir stehen hier vor dem Lagerhaus G, das in den Jahren 1944 und 1945 als Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme genutzt wurde. Die ersten hier inhaftierten Frauen, die im Hafen Zwangsarbeit verrichten mussten, kamen vermutlich Anfang / Mitte Juli 1944 aus Auschwitz-Birkenau nach Hamburg, hier ans Lagerhaus G – also im Juli vor genau 80 Jahren!

Hamburger Hafen als Ort von Zwangsarbeit

In der Zeit des Nationalsozialismus gab es eine Vielzahl von Lagern im Hamburger Hafengebiet, in denen unterschiedliche Menschen untergebracht waren, die Zwangsarbeit leisten mussten. So auch hier am Lagerhaus G. Zunächst befand sich hier ein Frauenlager. Denn viele der Zwangsarbeitenden waren Frauen.

Frauen waren als Zwangsarbeiterinnen oftmals mehrfach diskriminiert – auf rassistische und sexistische Art. Sexualisierte Gewalt stellte eine permanente Bedrohung dar, sowohl am Arbeitsplatz als auch in den Lagern, durch Lagerleiter, Vorgesetzte oder auch Vorarbeiter. Für die Zwangsarbeiterinnen gab es keine Möglichkeit sich juristisch gegen Übergriffe zur Wehr zu setzen. Wurden ausländische Zwangsarbeiterinnen schwanger, wurden sie anfangs noch in ihre Heimatländer abgeschoben. 1942 wurden dann Entbindungs- und Kinderanstalten eingerichtet, in den grausame Zustände herrschten. Die für deutsche Frauen verschärften Abtreibungsrechte bis hin zur Todesstrafe wurden für ausländische Zwangsarbeiterinnen geändert. Die als „rassisch minderwertig“ geltenden Frauen wurden daher oft zur Abtreibung gezwungen. Sie sollten nur wenige Tage bei der Arbeit ausfallen. Oft kam es zu lebensbedrohlichen Komplikationen.

Später waren hier am Lagerhaus G auch sogenannte „italienische Militärinternierte“ untergebracht.

Im Zweiten Weltkrieg waren NS-Deutschland und das faschistische Italien zunächst Bündnispartner. Am 8. September 1943 trat Italien aus dem Bündnis aus. Die deutsche Wehrmacht nahm daraufhin die italienischen Soldaten und Offiziere gefangen. Mit der Gründung eines faschistischen Teilstaats des gestürzten Diktator Mussolini unter Hitler und der Wehrmacht, wurden die Gefangenen zu „Militärinternierten“ erklärt. So konnten sie trotz des neuen faschistischen Bündnisses und ohne Rücksicht auf das Völkerrecht als Zwangsarbeiter in der Rüstung eingesetzt werden.1

Wir haben an diesem Ort also als Jüdinnen verfolgte Frauen, die aus Auschwitz kamen und sogenannte „italienische Militärinternierte“. Wir möchten daher gerne auf die unterschiedlichen Gruppen von Menschen eingehen, die im Nationalsozialismus Zwangsarbeit leisten mussten.

Historiker*innnen sagen, dass es nicht die typischen Zwangsarbeitenden gab. Schon vor dem Krieg wurde Arbeit als Zwangsmittel von den Nazis eingesetzt. Arbeit wurde zur Ausgrenzung verwendet: Dies betraf vor allem Menschen aus Gruppen, die von den Nazis verfolgt wurden wie deutsche Jüdinnen / Juden, Sinti*zze und Rom*nja oder Menschen, die als sogenannte „Asoziale“ diffamiert wurden.2

Nach Kriegsbeginn und mit Ausweitung des Zwangsarbeitseinsatzes kamen Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeitende oder KZ-Häftlinge innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches hinzu. Auch Menschen in den besetzten Gebieten wurden zur Arbeit gezwungen. 3

Als Massen an deutschen Männern als Soldaten in den Krieg zogen, gingen der deutschen Wirtschaft die Arbeitskräfte aus. Ersatz holte der NS- Staat eben aus den besetzten Ländern, zunächst durch Anwerbung, dann durch Verschleppung. 4

Den Höchststand der Zwangsarbeitenden gab es parallel zum Höhepunkt der Rüstungsproduktion im Sommer 1944 – wo wir uns auch gerade gedanklich befinden.

Die Rüstungsproduktion hätte sich ohne den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte nicht aufrechterhalten und ausweiten lassen können. Der 1944 einsetzende umfangreiche Einsatz von KZ-Häftlingen außerhalb der Konzentrationslager stellte die letzte Radikalisierung der Zwangsarbeit dar. Die SS errichtete zahlreiche KZ-Außenlager in der Nähe von Rüstungsbetrieben, wie auch in HH im Hafen der Fall.5

Doch nicht nur in der Rüstung war das der Fall: Ohne die erzwungene Arbeit von Menschen aus über 20 Nationen und von in Deutschland lebenden ausgegrenzten und verfolgten Gruppen hätte die gesamte deutsche Wirtschaft nicht aufrechterhalten werden können. Nach wie vor ist dieser Anteil von unfreier Arbeit bei Betrieben, die teilweise bis heute existieren, nicht präsent. Die Orte von Zwangsarbeit sind meist nicht markiert und daher von außen, ohne Kontext, nicht zu erkennen. Ihre Geschichte ist verdrängt, auch im Stadtbild.

Im September 1944 wurden über 60.000 Zwangsarbeitende in Hamburg gezählt. In manchen Betrieben lag der Anteil der Zwangsarbeitskräfte bei bis zu 70%. Die Menschen waren im Stadtgebiet in den unterschiedlichsten Lagern untergebracht: es gab Barackenlage, aber auch Schulen oder Festsäle in Gaststätten. Ab 1944 entstanden im Hamburger Stadtgebiet 20 Außenlager des KZ-Neuengamme6, unter denen auch das Lagerhaus G ist. In der ganzen Stadt war die Zwangsarbeit sowohl durch die Lager- als auch die Arbeitsorte präsent.

Trotz dieser Vielzahl an Orten, die die Geschichte von Zwangsarbeit bezeugen, sind diese heute meist unsichtbar.

Als Initiative Dessauer Ufer möchten wir das für dies ändern und fordern die Einrichtung eines Gedenk- und Lernortes am Dessauer Ufer.

Lagerhaus G

Die Gruppe von Inhaftierten, die hier vor 80 Jahren ankam, bestand aus 1.000 als Jüdinnen verfolgen Frauen aus Tschechien und Ungarn. Wenig später trafen außerdem 500 ebenfalls als Jüdinnen verfolgte Frauen aus dem Ghetto Litzmannstadt im heutigen Łódź ein.

Das Lagerhaus G wurde vorerst nur bis Mitte September desselben Jahres als Außenlager für Frauen genutzt. Ab diesem Zeitpunkt wurden die hier untergebrachten Frauen in verschiedene Hamburger Außenlager in Wedel, Sasel und Neugraben aufgeteilt, um dort Behelfswohnheime zu errichten. Ihre Zeit in Hamburger Außenlagern endete im Frühjahr 1945, als die SS sie in das KZ Bergen-Belsen brachte. Die Überlebenden wurden im April 1945 von der britischen Armee befreit.

Nachdem die SS die Frauen im September 1944 in andere Außenlager verteilt hatte, wurden 2.000 männliche KZ-Häftlinge ins Lagerhaus G gebracht. Aus Berichten von Überlebenden wissen wir, dass hier auch Kriegsgefangene und italienische Militärinternierte gefangen gehalten wurden. Durch einen Bombentreffer im Oktober 1944 kamen mindestens 45 namentlich bekannte Häftlinge ums Leben. Die überlebenden KZ-Häftlinge wurden in der Folge in das Außenlager Fuhlsbüttel gebracht, arbeiteten aber weiter in denselben Arbeitskommandos im Hafen. Der zerstörte Teil des Lagerhaus G wurde bis Februar 1945 instandgesetzt und erneut als Außenlager für männliche KZ-Häftlinge genutzt.

Am 14. April 1945 räumte die SS das KZ-Außenlager am Dessauer Ufer. Die Überlebenden wurden am 29. April 1945 im Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde von der britischen Armee befreit.

Die Frauen, die heute vor 80 Jahren hier ankamen, wurden nach Hamburg gebracht, um hier im Rahmen des sogenannten Geilenberg-Programms in verschiedenen Betrieben der Hamburger Mineralölindustrie Trümmer zu räumen.

Das sogenannte Geilenberg-Programm war ein geheimer Mineralölsicherungsplan. Es wurde nach dem Schöpfer des Programms Edmund Geilenberg, dem Generalkommissar für die Sofortmaßnahmen beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion benannt.

Es ging darum den drohenden Zusammenbruch der Treibstoffversorgung zu verhindern.

Die Frauen, die aus dem Vernichtungslager Auschwitz hier am Dessauer Ufer ankamen, mussten daher im Zuge dieses Geilenberg-Programmes bei größeren Hamburger Raffinerien wie Rhenania Ossag (Shell), Ebano-Oehler (Esso), J. Schindler oder Jung-Öl, sowie anderen Hafenbetrieben, Aufräumungsarbeiten verrichten.

Zur Ankunft am Lagerhaus G

Als Erstes hören wir ein Grußwort von der Überlebenden Helga Melmed:

Wir möchten nun gerne Berichte von weiteren überlebenden Frauen vorlesen, die ihre Ankunft hier am Lagerhaus G sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen beschreiben:

Hédi Fried, 1924 im damals ungarischen Sighet geboren, schreibt ebenfalls von der Ankunft am Dessauer Ufer:

„Der Zug fuhr durch tiefgrünes Land. Es war schön nach der Trostlosigkeit von Auschwitz. Was war es? Wiesen oder Ackerland? (…) Alles war so friedlich, man konnte sich nicht vorstellen, dass um uns herum ein Krieg wütete. Für einen Moment glaubte ich, alles wäre vielleicht nur ein Alptraum gewesen und ich befände mich auf dem Weg zu Tante Reginas Bauernhof. Ein Blick jedoch auf meine Leidensgefährtinnen gab mir die Gewissheit, dass der Alptraum Wirklichkeit war. Die schlafenden Gesichter waren entspannt, aber alle trugen sie die Zeichen der vergangenen Wochen. Abgemagerte Körper, beginnende Falten, kahle Schädel. Nur die Wirklichkeit kann solche Bilder schaffen. […] Wie lange dauerte die Zugfahrt? Auch das erinnere ich nicht. Nur daran, dass wir uns, als ich aufwachte, auf einem großen Bahnhof befanden: Hamburg. Unser Zug fuhr über den Bahnhof hinaus zum Hafen, wo er vor riesigen Lagerhallen anhielt. Das war also das Ziel unserer Reise. Hier würde unser neues Leben beginnen, weit weg vom Schatten des Schornsteins. Die Sonne schien, das Wasser des Flusses glitzerte, als uns befohlen wurde, den Zug zu verlassen und in das Lagerhaus zu gehen, das unser neues Zuhause sein sollte. Wir kamen in eine große Halle mit riesigen Fenstern, die auf die Elbe blickten. Betten waren in zwei Etagen aufgestellt, wir rannten los, um eines zu ergattern. Livi [ihre Schwester] und ich hatten uns gerade auf einer der oberen Etagen niedergelassen, beim Fenster, wegen der Aussicht, als ein SS Mann brüllte, es sei niemandem erlaubt, sein Bett mit jemand anderem zu teilen. So zog Livi in das Bett unter mir, und ich dehnte mich aus, glücklich, wieder zu fühlen, wie es war, allein in seinem eigenen Bett zu sein, auf dem Rücken zu liegen, mit ausgestreckten Armen, sich zu drehen und zu wenden, ohne angeschrien zu werden, doch stillzuliegen. Die letzten Strahlen der Nachmittagssonne erleuchteten das Lagerhaus. Die Reflexe der Wellen zitterten auf den Wänden. Die helle Halle stand in protzigem Kontrast zu unserem finsteren Barackenraum in Auschwitz. Wir waren von der Hölle in den Himmel gekommen. Man gab uns Brot und Kaffee, der nach Kaffee schmeckte. Dann fiel ich in Schlaf und träumte, mit Goldfischen zu spielen […]. Eine Pfeife und der Aufruf zum Appell weckten mich.“ (S. 122 f.)

Trotz der Hoffnungen, die die Frauen mit der Ankunft in Hamburg verbanden, ist nicht zu vergessen, dass sie zur Zwangsarbeit, insbesondere zum Trümmer räumen, hierhergebracht worden waren.

Die 1921 in einer nordböhmischen Kleinstadt geborene Margit Hermann beschreibt die Ankunft in Hamburg:

“Hamburg, diese stolze, reiche Hafenstadt gleicht einer heruntergekommenen Schönen, deren Leib Wunden und Schwären bedecken und deren schmutziger Unterrock auf Schritt und Tritt hervorlugt. Überall sind Lager, Kriegsgefangenen- und Arbeitslager, große und kleine KZs. Ganze Viertel liegen in Schutt und Asche […].Längs der eilig freigeschaufelten Straßen erheben sich hohe Schutthalden, unter denen noch unbegrabene Leichen liegen. Zwischen den Ziegeln und Steinen stecken hie und da kleine Holzkreuze – Wegweiser zu den Toten. […] Die Stadt gibt nicht auf. Nach jedem Fliegerangriff setzen fieberhafte Aufräumungsarbeiten ein. Schutt wird weggeschaufelt, um die Straßen freizulegen. Blindgänger werden entschärft, heile Ziegel aussortiert und beschädigte zermahlen und zu Bausteinen verarbeitet. Was gestern zerstört wurde, wird heute mit Bienenfleiß wieder aufgebaut. Wer tut diese Arbeit? Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus allen Ländern im Machtbereich Hitlers.

Überall kleben Plakate mit der Aufschrift ‘Alle Räder rollen für den Sieg’ und die Flüsterpropaganda ergänzt leise den Slogan mit dem Spruch ‘und viele Köpfe nach dem Krieg’. Die Kinder des versklavten Europas lassen die Räder rollen, wenn auch nicht aus freien Stücken, Jammergestalten aus dem Fuhlsbütteler Zuchthaus, KZ-Häftlinge beiderlei Geschlechts in gestreifter Kluft, schwarzlockige Italiener, mit dem Profil antiker Statuen, in zerrissenen grau-grünen Uniformen, mit der Aufschrift “MI” (Militärinternierte). Es sind ehemalige Truppen des Generals Badoglio, die gegen Mussolini gekämpft haben und deshalb nicht die Rechte von Kriegsgefangenen genießen. Wir begegnen grazilen Franzosen, die uns zuwinken. Manche tragen schwarze Barette, manchen baumeln winzige Quasten an der Mütze. Wir sehen schlaksige Holländer und Vlamen und die Gruppe “OST”, Männer und Frauen im Lumpen, die häufig nicht einmal Schuhe besitzen. Sie schlurfen dahin mit gesenkten Köpfen, die Blöcke zu Boden gerichtet, wie verprügelte Hunde. Die Frauen tragen eingeschlagene Kopftücher, die ihre Stirn bis zu den Augenbrauen verhüllen. Alle verrichten Schwerarbeit, ohne Ruhepause, und sie schweigen beharrlich, als verstünden sie die Aufschrift auf den Plakaten, die an allen Häuserecken kleben.” (Harburger Jahrbuch, S. 176-178)

Auch die Frauen am Dessauer Ufer wurden zur Verrichtung dieser Arbeiten gezwungen. Davon erzählt auch Dagmar Lieblová:

“Zuerst sind wir mit dem Schiff, einer Barkasse, gefahren zu einem […] ausgebombten Betrieb. […] Am ersten Tag haben wir Fässer voll von Teer, die durch die Bomben irgendwie auseinandergerollt waren – überall lagen die – , […] gerollt und sie an einem Ort gestapelt. Das war eine ziemlich schwere Arbeit. […] Wir waren das nicht gewöhnt, wir haben nie solche Arbeit gemacht. Und dann haben wir Eisenstücke aus den Trümmern holen müssen und Maschinen irgendwohin tragen. […] Ein anderes Mal haben wir aus den Trümmern die Steine geholt und abgeklopft. Einmal mussten wir von einem Schiff Ziegelsteine abladen. […] Wir mussten das ganze Schiff leer machen. […] Da wir ohne Handschuhe arbeiteten, hatte ich später ganz wunder Finger von den Ziegeln.” ((zitiert nach: Ellger, S. 161))

Auch Margit Hermannová erinnert sich an den Arbeitseinsatz im Hamburger Hafen:

“Aufstehen mussten wir etwa um vier Uhr früh. Da war es im Sommer noch dunkel. Da wurden wir zum Schiff gebracht, das uns dann zu den Raffinerien brachte, nach Moorburg oder nach Finkenwerder. Und meistens haben wir dann auf dem Schiff weiter geschlafen. Wir lagen dann auf den Planken und schliefen. […] Die ersten Arbeitsstätten waren die großen Raffinerien an der Süderelbe. Dort waren bei einem Fliegerangriff die Tanks mit Teer getroffen worden, und der Teer war ausgeflossen. Und unsere Aufgabe war es, den Teer in Eisenfässer zu schaufeln. […] Später kam ich zu Rhenania. […] Dort haben wir hauptsächlich Aufräumungsarbeiten gemacht […]: Ziegel abgeschlagen, die heilen Ziegel aufgeschichtet. […] Und bei Luftangriffen wurden wir in so ein Wäldchen geführt.”

Die Überlebenden berichten auch von der Solidarität untereinander. So erinnert sich Dagmar Lieblová:

“Ein Franzose hat mir etwas in die Hand gedrückt. Und ich habe dann festgestellt, dass es ein Mantel war. Das war natürlich sehr schön, so einen Mantel zu haben. […] Aber einen normalen Mantel hätte ich sowieso nicht tragen können. Wir haben es dann mit meinen Freundinnen beraten; wir haben alles zusammen gemacht, wir haben alles geteilt. Wenn wir ein Stückchen extra bekommen haben oder gefunden haben, ein Stückchen Essen, haben wir es zusammen gegessen. Und auch über den Mantel haben wir uns beraten. […] Und dann haben wir entschlossen, dass wir ihn umtauschen. […] Unter mir auf dem Bett hat eine Frau geschlafen, die hat […] im Lager gearbeitet. […] Und die hat es dann irgendwie vermittelt, dass wir ihr den Mantel gegeben haben und wir haben dann dafür Brot bekommen. Das war ein ganzer Laib. […] Das war damals ziemlich viel Brot. [….] Und so hatte sich der Mantel für uns alle gelohnt. […] Da wir so viel Brot hatten, habe ich auch ein Stückchen Brot mit jemandem für eine Zahnbürste umgetauscht. […] Wir jungen Mädchen waren immer zusammen. […] Wir waren ungefähr 5 oder 6 Mädchen. […] Wir haben natürlich auch mit anderen Kontakt gehabt. […] Da waren einige, die haben bei der Arbeit etwas Nützliches erzählt wie Inhalte von Büchern oder Opern. Und da haben wir zugehört. […] Und [besonders] haben sich immer zwei unterstützt; ich zum Beispiel mit meiner Freundin. Mit der habe ich immer zusammengehalten.” (bei Ellger, S. 287).

Zum Abschluss möchten wir gerne die Überlebende Dita Kraus selbst zu Wort kommen lassen. Dita Kraus kam als Mädchen mit ihrer Mutter zum Dessauer Ufer. Sie berichtet in dem Audio-Ausschnitt von ihren Erlebnissen hier am Dessauer Ufer.

 

 

 

 

Intervention Blueprint beginnt. Weiter in Beitrag Teil II.

 

1 Siehe Zusammenfassung Dokuzentrum Schöneweide: https://www.ns-zwangsarbeit.de/italienische-militaerinternierte/

2 Ausstellung Dokuzentrum Zwangsarbeit Schöneweide

3 Ebenda Ebenda Frauke Kerstens, S. 31

4 Ausstellung Dokuzentrum Zwangsarbeit Schöneweide

5 Thomas Irmer, S. 36-37.

6 Siehe Doktorarbeit Littmann zu Zwangsarbeit in HH

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Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag am 14.07.2024

14.7.2024    15 Uhr    vorm Lagerhaus G
ZWANGSARBEIT IM HAMBURGER HAFEN 1943-45
Gedenkveranstaltung anläßlich der Erstbelegung des Frauenaußenlagers des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer im Juli 1944
Vorstellung der Arbeit >Blueprint<

Vor 80 Jahren wurde das größte Hamburger Frauenaußenlager des KZ Neuengamme im Lagerhaus G am Dessauer Ufer im Freihafen eingerichtet. Die ersten 1000 ungarischen und tschechischen Jüdinnen waren Anfang Juli 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau für den Arbeitseinsatz in Hamburg ausgewählt worden. Sie erreichten Hamburg wahrscheinlich am 6. oder 7. Juli 1944. Einen Monat später wurden weitere 500 polnische Jüdinnen aus dem Getto Litzmannstadt (Łódź), die ebenfalls in Auschwitz-Birkenau selektiert wurden, ans Dessauer Ufer verlegt. Einige Frauen waren 1941/42 zuvor aus Hamburg und anderen deutschen Städten ins Getto Litzmannstadt deportiert worden.
Die Frauen mussten im Rahmen des „Geilenberg-Programms“, das vor allem zur Aufrechterhaltung der kriegszerstörten Mineralölindustrie diente, bei größeren Hamburger Raffinerien wie Rhenania Ossag (Shell), Ebano-Oehler (Esso), J. Schindler oder Jung-Öl, sowie in anderen Hafenbetrieben Aufräumungsarbeiten nach Bombenangriffen verrichten.
Die Veranstaltung erinnert am Beispiel des Hamburger Hafens daher auch an die sich damals ausweitende, im Zusammenspiel von SS, Industrie und staatlichen Verwaltungsstrukturen organisierte Zwangsarbeit, durch die die Kriegswirtschaft am Laufen gehalten werden sollte. Der 1944 einsetzende umfangreiche Einsatz von KZ-Gefangenen außerhalb der Konzentrationslager stellte die letzte Radikalisierung der Zwangsarbeit dar, besonders in der Luftrüstung, der Ölindustrie und im Schieferabbau. Den Höchststand der Zwangsarbeitenden gab es parallel zum Höhepunkt der Rüstungsproduktion im Sommer 1944. Jede*r vierte Arbeiter*in/ Angestellte zu jener Zeit im Deutschen Reich war ausländischer Zwangsarbeiter*in. Die Zuspitzung des Krieges im Reichsgebiet bedeutete auch eine Verschärfung der Bedingungen der Zwangsarbeit, so durch zunehmende Luftangriffe der Alliierten, denen Zwangsarbeitende meist schutzlos ausgeliefert waren.
Dies betraf insbesondere auch die Frauen vom Dessauer Ufer, die später auf andere Hamburger Außenlager verteilt wurden, und an deren Geschichte wir mit dieser Veranstaltung erinnern möchten.

Die Einsatzorte, an denen die Frauen unter lebensbedrohlichen Umständen u.a. Bombenschäden beseitigen mussten, liegen über das Hafengebiet verteilt und sind hinsichtlich ihrer historischen Bedeutung weder gekennzeichnet noch zugänglich. Im Rahmen dieser Gedenkveranstaltung stellt die Projektarbeit >Blueprint< in Kooperation mit der Initiative Dessauer Ufer eine Versuchsanordnung vor, die diesem Zustand entgegenwirken will. >Blueprint< markiert im Rahmen einer künstlerischen Arbeit jene Orte der Zwangsarbeit im Hafengebiet, an denen die Frauen vom Dessauer Ufer eingesetzt wurden. Als temporäre Intervention vor Ort versteht >Blueprint< sich als einen fortlaufenden Prozess, durch den die Verbindung der verschiedenen Arbeitsorte mit dem Außenlager am Dessauer Ufer kenntlich gemacht werden soll. >Blueprint< manifestiert sich anläßlich der Veranstaltung erstmals öffentlich mit dem Versuch, den gewohnten Blick auf diese Orte zu stören, zu schärfen und umzulenken. Quasi eine Probe aufs Exempel…

Und weiterhin gilt: Die Initiative Dessauer Ufer setzt sich für die Schaffung eines Gedenkorts im Lagerhaus G ein und fordert seine öffentliche Zugänglichkeit. Die Erforschung des Gebäudes und der in ihm erhaltenen Zeugnisse jener Zeit sowie seine sorgfältige Sanierung sind ebenso überfällig wie eine transparente Diskussion seiner künftigen Nutzung.

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Rundgänge im Juni in Kooperation mit dem FreiraumMKG

Am 23.06.24 und 29.06.24 haben wir mit dem Freiraum MKG im Rahmen der
Water Pressure Ausstellung zwei Rundgänge am Dessauer Ufer durchgeführt.

Am 23.06.24 lag der Schwerpunkt auf der (Bau-)Geschichte des Lagerhaus G: wie
ist es konstruiert und welche Nutzungsgeschichte hat es seit 1903 erfahren? Wir haben über die Schnittstelle zwischen Hafen-, Architektur- und Stadtgeschichte gesprochen und diskutiert wie Erinnerungsarbeit und zukünftige Nutzung anhand der
Geschichte dieses Bauwerks aussehen kann.

Am 29.06.24 wurde ein Blick auf die Geschichte des Lagerhaus G als Außenlager des KZ Neuengamme mit seinen Verflechtungen der Zwangsarbeit am Hamburger Hafen geworfen. Mit Biografien ehemaliger Gefangener wurde die Geschichte des Gebäudes erläutert.

Wir freuen uns, dass so viele von euch teilgenommen haben und sich für die Geschichte dieses Ortes interessieren. Herzlichen Dank auch an unsere Kooperationspartner*innen vom  Freiraum des Museums für Kunst und Gewerbe.

Diesen Sommer und Herbst wird es weitere Veranstaltungen geben, schaut also gerne regelmäßig hier und auf unseren Social Media Plattformen vorbei.

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